Aus gegebenem Anlass

Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar. (Abendlied, 1777)

Es ist Reisezeit. Das Kofferpacken will wohlüberlegt sein. Was kommt mit, wie wird das Wetter sein, braucht man Platz für Mitbringsel? Was die österreichische Regierung jüngst auf ihren Reisen in die Türkei und Ägypten im diplomatischen Gepäck hatte, war das Übliche, wenn Diktaturen besucht werden. Wirtschaftliche Interessen und geopolitische Strategien, ein paar EU-Millionen und gute Absichten am Rande der Staatsbesuche. Die da lauten, gemeinsam gegen Menschenhandel, Ausbeutung von „irregulären“ Migranten, Schlepperkriminalität und illegale Migration aufzutreten. „Die Achtung der Menschenrechte ist weltweit integraler Bestandteil der österreichischen Außenpolitik“, so Außenminister Schallenberg, daher fehlte auch diesmal in den Presseaussendungen der Stehsatz, „die Menschenrechtslage wurde thematisiert“, nicht. Fertig gepackt!

Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen, meinte der deutsche Dichter Matthias Claudius. Da treten Trophäen zutage, wie der „Beginn eines entspannteren Verhältnisses“ mit dem Kriegsherren Erdogan oder die Kooperation der österreichischen Polizei beim Grenzschutz in Ägypten. Auch politisches Kleingeld für die heimische Berichterstattung klimpert in den Reisetaschen, der Boulevard beschwört die „Gefahr einer Flüchtlingswelle“. „Illegale Migranten“ sind flüchtende Menschen im medialen Sprachgebrauch schon die längste Zeit. Mission beendet.

Das Writers-in-Prison-Komitee setzt sich seit Jahren für die politischen Häftlinge Alaa Abd el-Fattah in Ägypten und Ilhan Çomak in der Türkei ein. Beide sind seit Jahren in Einzelhaft, beide wurden gefoltert. El-Fattah ist Blogger und gilt als Ikone des Arabischen Frühlings, der Kurde Ilhan Çomak ist Autor mehrerer preisgekrönter Gedichtbände, die er in seiner mittlerweile 27 Jahre andauernden Haft verfasste. Die Gerichtsprozesse widersprachen jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Der Österreichische PEN-Club setzte sich wiederholt für seine Honorary Members ein, das Außenministerium wurde damit befasst.

Sich für Alaa Abd el-Fattah und Ilhan Çomak einzusetzen, hat die illustre Reisegesellschaft wohl vergessen. Dafür war auch im Handgepäck kein Platz mehr.

Marion Wisinger, Writers-in-Prison-Komitee

https://ilhancomak.wordpress.com

Erscheint im Herbst 2022: Alaa Abd El-Fattah, Ihr seid noch nicht besiegt. Ausgewählte Texte 2011-2021, Wagenbach 2022.