STELLUNGNAHMEN ZUM UKRAINE-KRIEG


Die Ereignisse in der Ukraine veranlassen unsere Mitglieder zu persönlichen Stellungnahmen. Wenn von den Autor:innen gewünscht, machen wir diese öffentlich zugänglich.

Marzanna Danek

Warten auf den nächsten Jahrestag …

die Koffer waren gepackt
die Schier, Schlitten, Rucksäcke und
die Langlaufausrüstung
während es die anderen in warme
Länder zog scherzend,
dass sie im Frühling zurückkehren würden,
auf den Rücken der Vögel,
die nach Europa zurückfliegen
im Rummel der Vorbereitungen
hörte man plötzlich im Radio
eine seltsame Durchsage
nicht jeder konnte richtig verstehen
…irgendwie klang es nach
Krieg, dass er ausgebrochen sei
lassen wir den Krieg Krieg sein, und den
Urlaub Urlaub denken wir darüber nach,
sobald wir zurück sind
Proteste Friedensmärsche Plakate
glühende Reaktionen Gedichte konnten
die Aggressionen jedoch nicht aufhalten
Sammelstellen für Lebensmittel Schuhe
Kleidung Verbandszeug
Spielsachen und Kuscheltiere
und überall blau-gelbe Flaggen
die Aggressionen gingen jedoch weiter
die Politiker versprachen jegliche
Hilfe und verschlossen dabei oft die Augen
dachten intensiv nach, denn
„Denken hat eine Zukunft” immerhin
dann kam der nächste Februar
die Koffer waren gepackt
die Schier, Schlitten, Rucksäcke und
die Langlaufausrüstung
während es die anderen in warme
Länder zog scherzend,
dass sie im Frühling zurückkehren würden,
auf den Rücken der Vögel,
die nach Europa zurückfliegen
im Rummel der Vorbereitungen
hörte man plötzlich im Radio
eine seltsame Durchsage
nicht jeder konnte richtig verstehen
…irgendwie klang es nach
Krieg, es war die Rede vom Jahrestag
lassen wir den Krieg Krieg sein, und den
Urlaub Urlaub denken wir darüber nach,
sobald wir zurück sind
Das Wort für Februar „luty” bedeutet im
Altpolnischen „rau, gefährlich, böse”
es war früher schwer
diese frostige
gefährliche kalte Zeit zu überleben
es wird weiter gesammelt
Lebensmittel Spielsachen und Helme
tatsächlich! die Zeit verging
wie im Flug!
EIN JAHR SCHON!
wer hätte gedacht…
die Welt hat den Schock verkraftet
der Schmerz ist weiterhin da als
Phantomschmerz das Leben
muss ja weitergehen,
und Stress ist der Feind des Herzens!
am Ende kann man sich
an alles gewöhnen
auch an den Krieg
Europa hat wirklich schon
viel durchgemacht!
der Krieg ist keine Attraktion mehr,
als ginge er uns weniger an
keinen schockieren noch
die Panzer und das Blut
die Wunden fremder Menschen
tun nicht so weh
der Krieg geht weiter
das Leben geht weiter
die stärkste Macht scheint
die Ohnmacht zu sein

Marzanna Danek
(aus dem Polnischen von Silvia Gelbmann)

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Claudia Taller

Das war dein erstes Jahr.
Hey Baby, wir leben noch!
Wenn es jetzt endete, sofort endete,
dann wüsstest du von nichts.
Nichts von gellenden Sirenen, vom Zittern in Dunkelheit,
von Angst, von Kälte.
Wenn es denn endete.
Es wird nicht enden.
Ein Jahr noch?
Noch ein Jahr?
Schaffen wir noch ein Jahr?
Ich werde nichts vergessen, nicht die Schreie, nicht den Schutt, den Staub.
Aber du, du könntest es vergessen.
Noch könntest du vergessen.
Du könntest mich erinnern, meinen Körper,
meine Wärme, meine Liebe.
Es ginge sich aus, dass du nicht beschädigst bist.
Es genügt, dass ich beschädigt bin.
Noch ein Jahr, Baby? Das schaffen wir nicht.

24.2.2023

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Marzanna Danek

Ein ukrainisches Märchen

wenn Papa zurück ist vom Krieg
setze ich mich auf seinen Schoß
Mamas Gesicht wird vor Freude
strahlen wie die Sonne

ich werde auf Papas Schoß sitzen
und mal lachen, mal weinen

Papa fragt: Na…wie läuft es in der Schule?
Papa – antworte ich – die Schule gibt es
schon lange nicht mehr…eine Rakete
hat sie getroffen… so stand es
in den Zeitungen
Papa bittet: Lauf los, mein Kind
ins Geschäft und kauf mir meine Zeitung
– Papa – antworte ich dann – es gibt
kein Geschäft mehr, ebenfalls zerbombt
sowie das Gebäude – so stand es in den Zeitungen,
wo sie diese Zeitung druckten…
Papa bittet: Mein Kind, lauf zum Nachbarn – Papa, den …gibt’s nicht
längst getötet

der Kater Mruczek ist tot,
er hatte eine verletzte Pfote
es gab keine Medikamente für ihn!
es fehlt an Medikamenten

Mama hat gestern geweint, weil Papa nicht schreibt
Mama sagt: Papa hat sicherlich
keine Zeit, weil er kämpft!
Mama weint weiter…
drückt den Brief an die Brust,
der gestern gekommen ist
will ihn mir nicht vorlesen
raschelt nur mit dem Zettel…

weine nicht Mama!
weinst du?!

Mama kocht Chai
und Borschtsch
das wird ein Traum!
Mama würzt sie
mit ihrem wunderbaren Lächeln
Chai und Borschtsch und ein Stück Brot
Und Papa und Mama und Mama und Papa

wenn Papa zurück ist vom Krieg
lege ich den Kopf an seine Brust,
um in der Stille des F r i e d e n s
seinen Herzschlag zu hören

Marzanna Danek
(aus dem Polnischen von Silvia Gelbmann)

Papa sagte
auf Wiedersehen

ich ziehe in den Krieg

der Mama gab ich mein Herz

mein Herz schlägt
In Dir

mein Herz schlägt
in der Erde dieser Erde

ich ziehe los, mein Herz
lass ich zurück

den Herzschlag meines Vaters
höre ich
seitdem
immer
überall

Marzanna Danek
(aus dem Polnischen von Silvia Gelbmann)

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Wolfgang Weigel

Der Ukraine gewidmet
Tagebuchnotiz

Die Warnrufe sind nur noch Asche
die auf dem Grabstein liegt
dessen Inschrift
„Gedemütigt durch Zerstörung“
kaum noch leserlich ist
unter der Kruste aus Trauer
Nein: das ist nur die Wut

Wer sich jetzt darüber empört
erntet höhnisches Gelächter
von der anderen Seite
einer Grenze
Die es hier so nie gab

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Lubomir T. Winnik

FRIEDENSSICHERUNG


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Michael Benaglio

GLOBALER KRIEG

Immer dieser Stress. Sebastian schaufelte Führerschein, Wagenpapiere, Taschentücher in seine Ledertasche. Und den langen Einkaufszettel. Wie jeden dritten Samstag fuhr er in die Stadt, um einen Großeinkauf hinzulegen. Seine Frau Maria blieb mit den beiden kleinen Kindern daheim. Wo befanden sich die Wagenschlüssel? Ärgerlich.
„Alexa, wo sind die Wagenschlüssel?“
„Unauffindbar“, sagte die sonore, auf weiblich getrimmte Computerstimme. Sein kleiner Sohn lief vorbei, Wagenschlüssel in den Händen. Zornig hielt ihn Sebastian auf, entwendete sie ihm die. Sohn heulte. Mutter herbeigelaufen:
„Sei doch nicht immer so grob!“
Sebastian kramte ein paar große Einkaufstaschen zusammen. Seine Tochter lief mit einem braunen Teddybären, etwa einen halben Meter groß, wortlos an ihm vorbei.
„Alexa, schließe die Eingangstüre hinter mir.“
„Gerne.“
„Und sag‘ mir noch schnell, wo sind heute die Orangen am billigsten?“
„Hofer“, sagte die Maschinenstimme.

Ein Blick auf die moderne Siedlung mit ihren schmucken Einfamilienhäusern. Mähroboter in den dünngrünglatzigen Gärten. Blumen in braunen Blumenkästen auf den kleinen Balkonen. Sebastian startete. Der Wagen sprang sogleich an, obwohl die Temperaturen diese Nacht unter Null gelegen. Eine halbe Stunde dauerte die Fahrt in die Stadt, außer ein unvorhergesehener Stau blockierte die breite Straße. Er drehte das Radio auf. „Da keine der verfeindeten Staaten einlenken möchten, wird die Gefahr eines Atomkrieges immer größer“, sagte der Sprecher. Davon quasselten die nun schon seit zwei Monaten.

Ein langer Tag erwartete ihn: Zuerst zwei Ledersessel, verbilligt, aus dem Möbelgeschäft in den Wagen karren, dann eine Weste in der Schneiderei abholen, weiter zum anderen Ende der Stadt, in den großen City-Einkaufspark, zu den Supermärkten mit all ihren Sonderangeboten, und Prozent Zettelchen, die Sebastian an den Kassen einlösen konnte. Genau dreiundneunzig Produkte musste er in seinem Wagen, immerhin ein geräumigen Audi, verstauen. Halbzeit erreicht, ein Verlängerter in einer kleinen Instant-Bar, eingelullt von beruhigender Maschinenmusik. Noch einer mit einem Brötchen. Dann weiter im Einkaufs-Freizeitstress. Was ein guter Familienvater nicht alles für die ihm Zugeordneten opferte. Entspannung, vor der Glotze hocken, im Facebook sinnieren, ein Bier mit Freunden trinken.

Orangen, Butter, Extrawurst, Goudascheiben, Milch, Kakao, Klopapier, Rollmöpse, Lachsschnitten, Erbsendosen, Eckerlkäse, Kaffee, Schokoladekekse, er durfte nichts vergessen, sonst lag der Haussegen schief. Ach ja, die Äpfel. Und Avocados. Seine Familie hielt die Wirtschaft in Schuss, dachte Sebastian. Die seichte Ö3-Musik, die den Supermarkt bestrahlte, endete, ein Gong, die Nachrichten:. „Da keine der verfeindeten Staaten einlenken möchten, wird die Gefahr eines Atomkrieges immer größer.“ Sollten die doch bleiben wo sie waren. Was ging das alles ihn an, jetzt kullerte sogar ein Apfel aus dem Plastiksäckchen. Mein Gott, den Schnittlauch vergessen!

Am Horizont, im Westen, kündigte sich die erste Ahnung einer kalten Dämmerung an. Sebastians Wagen vollgestopft, jeder kleinste Raum ausgefüllt. Erschöpft, leicht gereizt, fuhr er aus der Stadt. Nach fünfzehn Minuten blickte er verwundert aus dem Fenster. Die Bäume verschwunden, keine Parkanlagen, beschädigte Häuser, bald nur noch bizarre Felsformationen, dicke Wurzeln am Boden, die sich bald über die Straße spannten, sodass ein Weiterkommen immer anstrengender, beinahe unmöglich wurde. Der Himmel färbte sich schwarz. Fensterscheiben auf Müllhalden, Dächer Reste, verstreut in der Landschaft. Sebastian meinte zu träumen.

Holpernd fuhr der Wagen von der Schnellstraße ab, nahm den Weg zu seiner Wohnanlage. Ein hoch aufgeschichteter Erdwall sperrte den Weg. Fluchend stieg Sebastian aus dem Audi. Schüttelte den Kopf. Kletterte über den Erdhaufen. Mit schmutziger Hose, erdnassen Händen erreichte er die heimatliche Gasse. Felsen, Gesteinsbrocken, zusammengepresste Autos. Angst griff nach seiner Kehle. Wie in einem Traum, benommen, schwindlich, wankte er weiter. Ein bizarres Gebilde aus Stahlbeton und aufgewühlter Erde erhob sich an der Stelle, an der sein Einfamilienhaus gestanden. Er rief seine Frau, die Kinder. Nur das Echo des kalten, pfeifenden Sturms. Dunkel die Nacht. Keine Nachbarn. Sebastian kletterte in das bizarre Gebilde, das einst sein Haus gewesen.

„Alle Funktionen beendet“, sagte Alexa. Ein Zischen, eine elektrische Leitung blitzte kurz hell auf. Dann Funkstille.
„Alexa“, sagte Sebastian.
Keine Antwort.
Alptraum.
Fassungslos, verwirrt, hockte er sich auf einen großen, abgeflachten Stein. Neben ihm ein brauner Teddybär, etwas einen halben Meter groß.
(BM, 12 / 22)

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Wilfried Stadler -FURCHE, Kolumne 349

EIN GEDENKPLATZ FÜR BERTHA VON SUTTNER

Es gab Zeiten, in denen mein Interesse an Neuigkeiten nahezu unersättlich war. Mittlerweile bin ich angesichts der Hyperinflation an verstörenden Nachrichten, die tagtäglich auf uns einprasseln, gewissermaßen „ersättlich“ geworden und nehme Informationen seltener und selektiver auf. Das schafft Freiräume für zeitlosere Themen.
So kam es, dass ich zu Anfang des Monats dank eines ORF-Hörbildes über Bertha von Suttner auf die Zeitgenossenschaft der 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Pionierin der internationalen Friedensbewegung zu Karl Lueger aufmerksam wurde. Die engagierte Vorkämpferin für Frauenrechte lebte nämlich nach dem frühen Tod ihres Ehemanns ab 1902 bis an ihr Lebensende im Juni 2014 in Wien. Ihre Wohnung lag in der Zedlitzgasse 7, also in unmittelbarer Nähe des 1926 nach Bürgermeister Karl-Lueger benannten Platzes, dessen Umbenennung erst kürzlich in einem offenen Brief von Nobelpreisträger Eric Kandel, Georg Stefan Troller und anderen Holocaust-Überlebenden gefordert wurde.
Erst nach näherer Recherche zu dieser zunächst nur räumlichen Querverbindung wurde mir bewusst, dass Bertha von Suttner neben ihren friedenspolitischen Initiativen auch den Mut hatte, als Gegnerin des von Lueger politisch instrumentalisierten Antisemitismus an die Öffentlichkeit zu treten. Zwei Jahre nach dem Erscheinen ihres zum Welterfolg gewordenen Anti-Kriegs-Romans „Die Waffen nieder“ gründete sie mit ihrem Ehemann Arthur Suttner sogar einen eigenen Verein zur Abwehr des Antisemitismus, der – so hieß es im Gründungsmanifest – „als eine gegen Humanität und Gerechtigkeit sprechende Geisteshaltung nicht nur für die Juden, sondern für die ganze Gesellschaft gefährlich“ sei.
Es erscheint mir deshalb naheliegend, das Andenken an Bertha von Suttner in die aktuellen Überlegungen zur Frage mit einzubeziehen, wie mit dem Denkmal für den zwischen 1897 und 1910 als Wiener Bürgermeister wirkenden Dr. Karl Lueger sowie dem nach ihm benannten Platz an prominenter Stelle des Ersten Bezirks weitergehen soll. Zeithistoriker Oliver Rathkolb plädiert zwar statt Entfernung für „Kontextualisierung“, also eine historisch erklärende Einbettung der Gedenkstätte und des Platzes. Dennoch ist die endgültige Form des Gedenkens an den Janus-köpfigen Kommunalpolitiker, der sich einerseits als Modernisierer Wiens um Neunzehnhundert verdient gemacht und andererseits als übel hetzender Antisemit hervorgetan hatte, letztlich noch offen.
Sollte es am Ende doch noch zu einer Umbenennung des Platzes kommen, wie sie vor zehn Jahren bei der Neubenennung des Universitätsrings erfolgte, wäre meiner Überzeugung nach Bertha von Suttner die ideale Namensgeberin. Nach ihr ist bis heute nur eine Gasse im 22. Bezirk benannt. In Würdigung ihrer humanistischen, friedenspolitischen und emanzipatorischen Lebensleistung stünde ihr ein wesentlich prominenteres Gedenken im historischen Zentrum Wiens zu. Nicht zuletzt könnte damit vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ein friedenspolitisches Zeichen gesetzt werden.
28. Juli 2022

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Ivo Rossi Sief – Texte gegen den Krieg

Oft sprechen wir jetzt über Krieg, speziell über „diesen Krieg“ und was sich da – auf den betroffenen „Schauplätzen“ und den Weltflächen – abspielt. Wir sehen verwelkende gelbliche und verbrannte Flächen, und meinen nicht mehr, es sei eine sonnige, positive Welt, die beste aller Welten, in die wir Menschen bisher uns „einplumpsen“ ließen. Wir haben nicht mehr den Eindruck, wir Personen, besser gesagt, Figuren seien aus einem gütigen Universum auf die Erde herabgefallen. Wir präsentierten uns uns, wie durch ein Fernrohr aus einem weit entlegenen Ort betrachtet, relativ klein im Verhältnis zur riesigen uns umgebenden, gelben – und auch giftiggelben – Welt. Die Krieger an Front in der Ukraine, dort auch die betroffene Zivilbevölkerung, wir alle die Zuseher, abgekapselt und wie in einem Krater gefangen, den wir selbst durch unser „Einplumpsen“ produziert haben.

Wir Figuren verharrend in unseren Augen im Zustand des Horchens, des betrachtenden Nachdenkens, aber auch im Begriff des uns Aufmachenwollen, des Hinein- und des Herausschreitensollen. Wir Menschen allesamt in den unteren Ecken und Rändern des Weltgeschehens – und dieses Kriegsgeschehens! – angesiedelt.

Es fällt eine gräuliche, nach obenhin verlaufender, leicht gebogener Spur auf, als wäre sie wie ein Weg in und durch die Sunny world, die auf uns wirkt wie das unausweichliche Schicksal des vorgezeichneten Lebens.

Wir sehen, dass dieser Weg, wie oben, durch plötzliche und laufende Ereignisse durchkreuzt wird, die unheimlich plötzlich und schnell ablaufen. Und doch deutliche Reste des Geschehenen hinterlassen. Flugzeuge und Raketen und et ceteras in unsere Lebens-„Farbspuren“ hinein. Ich frage mich, wir fragen uns, ob die Ereignisse, die uns treffen, Landebahnen seien, und fragen uns, für wen.

Oder ob es Startbahnen seien.

Und wir fragen uns „nach wie viel Seele fragen“, denn das sollte, uns erläutert werden, weil viele der Menschen gerade jetzt, als Gehirnamputierte darzustellen wären – um die Frage zu eröffnen, wo denn die viele Seele angesiedelt sei.

„Nicht etwa im Herzen“, lache ich beinahe auf. All unsere Emotionen und das Un- und Unterbewusste seien in unserem Cortex angesiedelt, also wohne die Seele wie der Verstand in unserem Kopf. Der Hirnlose, ich deute mit dem Finger auf die Stelle einer Zeichnung (eine Karikatur des Despoten) mit einem durchschnittenen Schädel, sei somit auch ein Seelenloser.

Und so wird über die einsamen Figuren am „unteren“ Weltbildrand geschrieben – und über die im Kriegszentrum – von Redakteuren die neben Details und strukturellen Eigenheiten auch mit gekritzelten Sätzen, die an Notizen auf Clubtoiletten erinnern, und in meinen Augen im Grunde Variationen eines I was here wiedergeben.

Ich sehe aber auch recht klar, dass wir alle nicht auf dem Weg zueinander, sondern alle für uns allein sind, und somit, wir „die Zuseher“ auch einen tiefen Blick in uns selbst werfen sollen.

Wir mit unseren Fetzen gelebten Lebens. Diese saftig so, dass abrupt die Kerne des Granatapfels einfallen, wo auch jeder Kern jedoch irgendwie für sich lose ist.

Aber gemeinsam und im Ganzen könnten wir, wenn nur wir wollten, eine eigenwillige Frucht bilden. Die Kerne aus der Frucht lesen und vor sich aufreihen, so, dass diese Kernfetzen einen Faden, eine Kette bilden, bei der Glied für Glied ineinandergreift, eine stete Fortsetzung, organisch und plötzlich ganz fest, denn Zusammengebautes hat Sollbruchstellen, Gewachsenes, bei allen Widrigkeiten, ein stabiles Konstrukt. Wo das Bild sich nicht wie eine Flucht anfühlt, sondern wie ein Werden, ein BESSER WERDEN

Stoppt Putin! – Stoppt (endlich und irgendwie) diese Aggression der Ukraine, diesen auf bescheuerte Manier genannten Krieg.

Stopp all den Kriegen auf dieser Welt.

Rinn Tirol, am 26. 08. 2022


Michael J. Reinprecht: Nationalismus treibt die Welt zurück ins 19. Jahrhundert

“Nationalismus führt zu Krieg. Unweigerlich. Ist nur eine Frage der Zeit”, sagt Ilija Trojanow in seiner Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am 26. Juli. Und: ” Diese Lehre wird immer wieder vergessen”.

Die Geschichte ist voll davon. Nehmen wir den Balkan und seine Kriege in den Jahren 1912 und 1913. Oder die Kriege im Gefolge des Zerfalls Jugoslawiens in der ersten Hälfte der 90iger Jahre, auch ein nationalen Egoismen geschuldetes Scheitern der Idee eines Bundesstaates auf dem Balkan.

Welcher Hass? Welch’ mörderische Trennlinien da durch Landschaften, ja Dörfer und Städte gehen. Denken wir nur an Srebrenica, denken wir an Mostar, dessen Brücke über die Neretva früher die Menschen dieser wunderschönen Stadt verband – und nun nach der Wiederrichtung der stari most eine Trennlinie zwischen dem mehrheitlich muslimischen Ostteil der Stadt mit dem katholischen West-Mostar bildet. Hier ist nichts zusammengewachsen was zusammengehört, um ein Bonmot Willy Brandts zur deutschen Einigung zu strapazieren. Es ist Nationalismus der dies verhindert.

In der Erinnerung an das 19. Jahrhundert ist “Nationalismus” auch positiv konnotiert. Das “nationale Erwachen” ist im historischen Gedächtnis als “romantische” Bewegung verankert. Denken wir an die 1830er Jahre und Griechenlands Unabhängigkeitskampf der von panhellenistischen Intellektuellen Europas gefeiert wurde. Auch diese Staatswerdung musste militärisch hart erkämpft werden. Aber das damit verbundene Leid ist vergessen. Im Bild schon eher die Segnung der griechischen Flagge durch den Metropoliten. Erinnert ein wenig an den Moskauer Patriarchen Kyrill I, Metropolit “von Moskau und der ganzen Rus” und seine Unterstützung für den Ukraine-Überfall Wladimir Putins.

“Le nationalisme c’est la guerre” hatte der bereits todkranke französische Präsident François Mitterrand im Jänner 1995 in den Plenarsaal des Europaparlaments in Straßburg gerufen. Eine Mahnung die damals als Ausdruck einer Sonntagsrede verpuffte, heute beim Wiederlesen der Rede umso mehr kalten Schauer den Rücken herunterjagd.

Zurück ins 19. Jahrhundert

 Die europäische Geschichte seit 1945 ist dadurch gekennzeichnet, dass Staatsgrenzen als unveränderlich galten. Zugleich war der Riss, der in Form des Eisernen Vorhanges durch den Kontinent ging, Symbol des Kalten Krieges – auch “versehrter Frieden”(© Trojanow) genannt. Zugleich Trennlinie zwischen den zwei konkurrierenden Gesellschafts-Systemen West und Ost die einander bis an die Zähne atomar bewaffnet gegenüberstanden. Auch wenn es durchaus mal zu gefährlichen Situationen kam (so in der Kuba-Krise 1962) währten diese nur kurz – und Krieg brach keiner aus – in Europa, in der westlichen Hemisphäre. Doch seit ich am Leben bin herrscht worldwide irgendwo immer Krieg. Korea, Kongo, Vietnam. Und heute Syrien, Libyen, die Länder der Sahelzone, Jemen. Hass, überall Hass. Gewalt, Leid, Verzweiflung, Tod.

“Zwei Mal kam der Große Krieg mit aller Macht.

Und sie sind zum dritten Mal nicht aufgewacht” –

singt Konstantin Wecker, der seine pazifistischen Träume nicht aufgeben will. Und leitet diesen Refrain ein mit den Worten:

“Irgendwann? Nein jetzt. Wir müssen sehen

Wie wir den Gewalten widerstehen

Denn sonst heißt es eines Tagen dann

Seht euch diese dumpfen Bürger an”.

 Dass Russland am 24. Februar 2022 einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, das ist eine neue Dimension. Denn es geht um Land. Um Raum. Um substantielle Grenzverschiebung. Das ist ein eklatanter Rückfall in das 19. Jahrhundert. Zugleich haben die sicherheitspolitischen Netze, welche nach 1945 geschaffen wurden an politischer Bedeutung verloren. Was gelten die OSZE, die UNO heute noch?

Militarisierung der Sprache

Sprache und Denken sind ein untrennbares Paar. Die Sprache beeinflusst das Denken und letztlich das Handeln. Oft jedoch bekommen wir den Einfluss der Worte gar nicht mit. Studien ergaben, dass allein die Beschreibung von Lebensmitteln das Geschmackserlebnis beeinflussen kann: Eine Torte, ein Kuchen schmeckt besser, wenn es “hausgemacht” ist, “nach einem alten Familienrezept” gebacken wurde. Ein exotischer Name verleiht Getränken ein frischeres Aroma, ergaben Tests. Unsere Wahrnehmung ist also alles andere als objektiv, sie lässt sich von Begriffen leiten.

Und diese sind heute kriegerischer Natur. Mir macht die Militarisierung der Sprache Angst. Adjektive wie “heroisch”, “unbeugsam” und “tapfer” begleiten die tägliche Kriegs-Berichterstattung die in in unsere Wohnungen hereingebrochen ist. Auch sind wir alle Opfer von Propaganda, hie wie dort. Wer glaubt nur der russischen Bevölkerung wird nicht reiner Wein eingeschenkt und wir hier in Westen erhalten objektive Berichterstattung auf dem Silbertablett serviert, der irrt: Krieg kennt keine Wahrheit.

Nehmen wir die im späten Frühjahr heiß diskutierte Frage der Lieferung “schwerer Waffen” an die Ukraine. Auch diese verursachen Leid, Verzweiflung, Tod. Das allgemein bemühte Beispiel der Nachbarschaftshilfe um den Eindringling in der Wohnung gegenüber zu verjagen und dem Nachbar beizustehen ist vom hehren Gedanken der Hilfe am Nächsten geleitet – aber es hinkt. Denn im Ukraine-Krieg geht es nicht um kleine Scharmützel. Es ist Krieg. Brutaler Krieg. Man muss sich nur mal den ZEIT-Bericht “Das Lazarett” von Mitte Juli zu Gemüte führen, der von der Behandlung schwer verletzter ukrainischer Soldaten im Berliner Bundeswehrkrankenhaus berichtet. Es ist grausam. Und mir stockt der Atem wenn ich dies lese: “Und dann die enorme Wucht, mit der Kriegswaffen auf den Körper einwirken: die Druckwelle, die Hitze, die Geschossteile. ‘Die Detonationsenergie einer Granate ist gigantisch’, sagt Christian Willy, Leiter der dortigen Unfallchirurgie. ‘So etwas gibt es bei keinem Verkehrsunfall.’ Was bleibt übrig von einem, der getroffen wird? ‘Nichts.'”

Das Vokabel “Putinversteher” kann ich nicht mehr hören. Wie kann man auch einen Diktator, einen Aggressor verstehen, der einen blutigen – und für den Weltfrieden sehr gefährlichen Krieg “mitten in Europa” begonnen hat? Mir fallen Schimpfwörter ein, am liebsten würde ich meine Wut an Putin auslassen. Aber der Text will sauber bleiben.

Trotzdem hat die Stunde der Diplomatie bald zu schlagen. Zeitnah, wie ich hoffe. Denn Verhandlungen zu führen hat wahrscheinlich höheres Potential diesen Krieg zu beenden oder zumindest einen Waffenstillstand zu schaffen als Kiew schweres und immer tödlicheres Kriegsgerät zur Verfügung zu stellen. Dabei wird auch eine gewisse Kompromissbereitschaft der Ukraine unumgänglich sein.


Dietmar Koschier: Freund und Feind

Putin ist ein Kriegsverbrecher!

Putin ist ein Gewaltherrscher!

Putin ist ein Mörder und Auftraggeber von Mördern!

Putin ist ein Feind der Demokratie – es sei denn, er kann sie für Inszenierungen verwenden, die seiner Diktatur einen Anstrich von Legitimität zuschanzen sollen.

Putin ist ein Feind Europas und der gesamten sogenannten freien westlichen Welt.

Putin ist leider all das und noch mehr, was man innerhalb seines Herrschaftsgebiets nicht einmal aussprechen darf, will man nicht für unbestimmte Zeit in Gefängnissen verschwinden, in denen systematisch gefoltert wird.

Putin hat die Russen nach einer Ära des Tauwetters unter Gorbatschow und Jelzin in eine neue Barbarei geführt, zurückgestoßen in ein dem Stalinismus entnommenes Klima der Angst und der Enge.

Putin ist ein Feind des russischen Volkes!

Ronald Reagan hat die UdSSR, dessen territoriale Ausdehnung Putin wieder erobern möchte, einst als Reich des Bösen bezeichnet. In Cowboy-Manier war dies lässig und hochtrabend dahingesagt. Doch angesichts der Gräuel, für die der Machthaber im Kreml direkt oder indirekt verantwortlich ist, lange vor dem Krieg gegen die Ukraine, scheint es nicht allzu weit her geholt, Putin als dämonisch zu bezeichnen.

Wahrscheinlich sieht er sich sogar als den Guten, der zur Verteidigung eines Russentums, das ausschließlich er definiert, sowie eines Fiebertraums von Großrussland wegen zu Felde zieht – gegen wen eigentlich? Feinde sind ihm innere und äußere Abweichler, nicht-putin‘sche Meinungen und überhaupt alle, die Einwände gegen seine Aktionen erheben. Kritik fasst er als persönlichen Angriff auf. So wie Hitler, der die Vorsehung für sich in Anspruch nahm, sieht Putin sich als den einzigen, der dem historischen Auftrag gerecht werden könne. So wie alle Diktatoren dünkt er sich in herausragender, einsamer Sonderstellung. Niemand sonst hätte die Zeichen der Zeit erkannt, niemand sonst so klar die Notwendigkeit dessen, wozu er sich berufen glaubt. Im Grunde unterscheidet er sich in nichts von den Nationalsozialisten und deren Blut-und-Boden-Wahn. Ein makabrer Treppenwitz der Geschichte, da ja einer der vielen Vorwände für den Überfall auf die Ukraine gelautet hat, gegen drogensüchtige, pädophile Nazis in der dortigen Regierung vorzugehen.

Putin ist wahnhaft, aber nicht verrückt im klassischen Sinn. Putin ist skrupellos, intelligent, bösartig, berechnend und wie alle Potentaten steckt er voller Angst und Paranoia. Eben dies macht ihn gefährlich. Sobald er einsieht, dass nichts mehr zu gewinnen ist, wäre er imstande, den roten Knopf zu drücken – wenn er nicht gewinnen kann, soll es auch niemand anderer. Wer weiß, ob wir es bei allem, was wir unserem Planeten antun, nicht ohnehin verdient hätten…

Natürlich könnte man etliche Aspekte mehr thematisieren, die durch die aktuellen Ereignisse evident geworden sind:

Den Amerikanismus etwa, dem wir Europäer, zumindest hier in Österreich ist dies eklatant, als Abstrahlung eines gewissen Imperialismus als Teil der US-amerikanischen Mentalität und ihres Selbstverständnisses als „leading nation“ uns in vorauseilendem Gehorsam unterwerfen, indem wir Konsumgewohnheiten, Sprachverhunzungen oder Moralvorstellungen imitieren, die weder angemessen noch zuträglich für uns sind. Oder die NATO, die beileibe kein Knabenchor ist. Dennoch müssen wir in der gegenwärtigen Lage froh sein, eine geopolitische Supermacht und ein Militärbündnis so halbwegs auf unserer Seite zu wissen, die willens und vor allem in der Lage sind, einem Gewaltherrscher entgegenzutreten. Die Sozialromantiker, die meinen, man könnte bei Putin in erster Linie mit Diplomatie noch etwas ausrichten, ähneln jenen, die auf einen Triebtäter, der vor ihrem Gartenzaun ein Kind vergewaltigt, zugehen und naiv lächelnd, mit matt erhobenem Zeigefinger stottern: „Äh, ich glaube, Sie sollten das besser nicht tun…“

Oder man könnte reden über den auffälligen Gleichklang zwischen Putin-Anhängern und Verschwörungsmythologen. Warum auch nicht? Putin steht für eine Meinung, die es brutal durchzusetzen gilt. Damit liebäugeln auch die neumodischen Querdenker, deren Narrativ stets gegen das „Establishment“ – wozu auch zählt, Putin als das zu benennen, was er ist: Diktator und Kriegstreiber – gerichtet ist, was immer das auch sein soll. Hauptsache gegen irgendetwas, auf das man seinen Lebensfrust richten kann… Mit Erdogan, Orbán, Bolsonaro, Trump, Modi, Vučić, Xi et cetera stehen zudem eine Menge autoritäre Machthaber parat, die mehr oder weniger versteckt Sympathien bekunden oder gleich offen Partei ergreifen für Putins Politik der Gewalt. Sollte er sich durchsetzen, werden sie dies als Anregung verstehen, in ähnlicher Weise loszuschlagen. Womöglich steht uns eine neue Ära bevor, in der die Welt erneut in mindestens zwei sich feindselig gegenüber stehende Machtblöcke zerteilt und zerstritten ist…

Doch von größter Wichtigkeit scheint es, uns darüber klar zu werden, dass der Feind Europas und der sog. Westlichen Welt, in der freie Meinungsäußerung nicht automatisch zu Folterhaft und Attentat führt, Vladimir Vladimirowič Putin ist – und nicht das russische Volk. Eine Unterscheidung, die bislang von keinem Kommentator berücksichtigt wurde, sei es aus Absicht, Gedankenlosigkeit oder weil im Einklang mit den Produktionsmechanismen moderner Medien einfach zum leichtverkäuflichsten Slogan gegriffen wird.

Es kann sein, dass die Menschen in Russland das Europa jenseits ihrer Grenzen als Feind wahrnehmen. Es kann sein, dass sie kriegsverherrlichende Zs auf Hauswände sprühen. Der russische Fisch hat sicherlich am Kopf zu stinken begonnen, und womöglich setzt sich dieser Gestank schon bis zur Schwanzflosse fort, doch die Menschen sind von einer Staatspropaganda gehirngewaschen, aufgehetzt und in die Irre geführt wie es bei uns vor 80 Jahren ebenso der Fall war und, wäre die Geschichte anders verlaufen, wahrscheinlich immer noch der Fall wäre.

Es kann sein, dass die Arroganz der Sieger des Kalten Kriegs, die das postsowjetische Russland als Selbstbedienungsladen betrachteten, zu einer andauernden Kränkung Putins, dem man zur Jahrtausendwende übrigens noch zugetraut hat, Russland reif für NATO und EU zu machen, geführt und aus ihm jenen Kriegstreiber und Autokraten gemacht hat, der er heute ist. Es bleibt allerdings Spekulation, ob der skrupellose Menschenschinder in dem früheren KGB-Offizier nicht schon längst verwirklicht war. Springender Punkt: Die kriegsführende und -auslösende Partei ist der relativ kleine Zirkel des korrupten Putin-Regimes und seiner Günstlinge in Staatsapparat und Medienzirkus. Das russische Volk arbeitet ihm zu, befürwortet, wird ausgenutzt, eingespannt, belogen und manipuliert, aber wäre nicht per se ein Gegenspieler. Diese Unterscheidung nie zu berücksichtigen, verstärkt und führt zu der von Putin und Parteigängern beabsichtigten Spaltung. Naturgemäß notwendig wäre sie jedoch nicht und ließe sich vermutlich auch so schnell nicht wieder kitten.

Entkleidet von allen Zuschreibungen, aktuellen Aufregungen, muss man bekennen, dass das Denkmuster einfach nicht stimmt: Russland oder Europa. Wenn es ein Gegensatz ist, dann nur weil, man es dazu macht.

In Wahrheit lautet es Russland und Europa, Russland seit je her als Teil der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte, Russland in Europa…! Gemeinsam sind die Völker Europas stark, stärker als jede grausame Tyrannei!


Ivo Rossi Sief: Text gegen Krieg

Ich wollte immer und will, weil ich nicht wie zu viele andere tun kann, an Freundlichkeit finden, beobachten, was von Wert scheint. Dann von dem lernen und hoffen, dass es bequem sei zu bedienen. Und wenn einmal die Kraft mir auszugehen droht? Muss ich dann aufgeben?
Geschmack, Gewohnheit und Moral der genannt „breiten Öffentlichkeit“ dann wieder annehmen? Und alles eine Frage des Glaubens sein lassen? Starke Menschen sind auch zart und schwach, legen dennoch ihre Größe mit dem Stempel ihres offenen Gesichtes an den Tag.
Mit ihrem Leben in Toleranz. Als Erstes die gegenüber sich selbst. Es ist nicht leicht, gewisse Dinge in Worte zu fassen. Und den Absurditäten des Lebens eine Bedeutung zuzuschreiben.
Und trotz der aktuellen guten Versorgung – die effektive reale oder die mutmaßliche – hat man eine befristete Zeit, und diesbezüglich keine Verträge, die eine entscheidende Rolle spielen. Auch wenn diese offenbar als für die Wirtschaft unabdingbar (uns allen) verkauft wird, als eine von narzisstischen Forschern erfundene prosperierende Sache, und diese in eine
generalisierte Angststörung gemeißelt oder gebrannt. Eine, die mit minimalistischem intellektuellem Quotienten genährt. Immer dem höchsten Besorgnislevel zugeteilt. Man verwechsle Bewusstsein nicht mit dem Verstand. Man achte auf seine innere Glühbirne, mitunter nennt diese sich Intuition … oder gar Seele … oder für andere Heiliger Geist. Ja.
Und ja eben gerade geht es (wieder muss man sagen) um die ganz andere Wesensidentität Krieg. Beziehungsweise Aggression. Und es ginge darum, dass die Förderung der gegenseitigen Sichtweise das Lernen eines Über-Blicks über Situationen erfordert. Des Überblicks, der dann das Interagieren bei den Beziehungssachen, diese testend, übernimmt und zum Erweitern der sozialen Fähigkeit führt. Denn diese ist der Motor, der zu jeglichem
Erfolg führt. Oder auch nicht. Ganz habe ich nicht die Fähigkeit, diesen letzten Sinn mit meinem Geist zu begreifen. Ich bin aber bereit, dem zu dienen. Wenn ich mich opfere. Und all dies – weißt? – ist die Stimme eines Gefühls, das in mir hochsteigt, wenn ich wach bin. Es reflektiert im Grunde und im Endeffekt nur die Bewusstwerdung, dass ich auch einen
schwachen Geist haben könnte, der (nur) zu Verwirrung führt.
Eine vermeintliche große 
Intelligenz mit ihren minimalen sowie ihren höheren Ebenen ist nun mal auch mit einer solchen Besorgnis verbunden.
Je nachdem. Thema Angststörungen gilt für schier jeden. So 
wie für mich, einer der anstatt nach eingesessenen Prinzipien zu handeln, tagelang auf meinen Balkonen – die gar nicht sind – Schafe auf der Straße, als wären sie auf Wiesen verloren, sieht. Das war ein nächtlicher Albtraum gewesen. Während eines seelischen Verdauungsprozesses. Der Lösungen im Perspektivenwechsel einfließen lassen soll. Solche, die ermöglichen sollen, unser Leben-und-Sein tiefer genießen zu können. Um auch Leben,
Familie, Freunde und Körper, Geist und Seele durch das, was wir tun, zu erfreuen. Wir, verstehst? Solche mit einem erwachten Bewusstsein in uns sind wie ein Sonnenuntergang ganz Tun und Stille. Und für unser Umfeld im Vergleich zu vielen anderen Dingen, ein Geschenk. Da wir für den möglichen Frieden dem Reste ein Spiegel sind. Noch vor Kurzem hätte man mich, gefragt, warum ich Angst hatte, hätte ich gesagt: Weil ich (seit jeher) nie
gewusst habe, wie man auf etwas – wie zum Beispiel diesem Krieg/diese brutale Aggression – gerade auf die Ukraine – zu reagieren hat. Um diese zu rechtfertigen und ihren Ursprung darzustellen, bräuchte es zu viele Details. Eine schriftliche Beschreibung bliebe aber immer unvollständig, weil die Schrift das Spüren von lebendiger Angst verhindert.
Die größte Substanz, um ihr näherzukommen, wäre Erinnerung. Und jetzt bin ich einfach nur bestrebt, mehr zu wissen, mir nichts dabei denkend. Verzweifelte, weil vernachlässigte, Selbstliebe ist – da ist aufzupassen – aber schnell auch überall verfügbar; um diese die auch Ursache für Einschränkung oder Narzissmus zu nennen. Ein Lebensprogramm, das einem vorkommt, wie wenn zwei und ein riesengroßes Angebot
(an materiellen Dingen) zusammenkommen, ist vergleichbar mit Material, das urheberrechtlich geschützt ist, mit Trends und Daten und mit einer Bestätigung, die im Endeffekt aber keine ist. Zwischendurch mit Krisen narzisstischen Rückgangs. Ein Reigen der Eitelkeiten. Wo Gedanken des Aufruhrs, des Aufrufs als zentrale Funktionen, nicht gelten.
Weil Gedanken des Aufruhrs zu sehr zu behaupten neigen, dass alles besser behandelt werden könnte. Und in dieser Eigenschaft sich aber so etablieren könnten, als würde die Menschheit auf einen extrem hohen Berg geklettert sein und als seien dort am Gipfel Narzissmusepidemien! und Kriege! rein aus Platzgründen, nicht und nie mehr möglich.
Befand ich mich gerade in einem Traum? Ja.

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Wolfgang Mayer König

TRIPTYCHON DES KRIEGES UND DER MENSCHENVERACHTUNG

(Aus zwei beweglichen, aus je einem Tafelbild bestehenden Flügeln, mit profanen oder religiösen Darstellungen von Szenen der Freude oder des Schreckens, und einer mittleren Bildtafel, mit der Zentralfigur oder dem zentralen Anliegen, errichteter, dreiteiliger, gemalter oder geschnitzter Flügelaltar)

Tafelbild des linken Seitenflügels:

Sinnlose Ohnmacht, die verbleibt. Über solche Gewalt. Über Straßen verstreut: mit Genickschuss hingerichtete Leichen, die Hände über dem Rücken gefesselt. Dutzende Massengräber verscharrter Ermordeter. Über obersten, vor aller Weltöffentlichkeit direkt erteilten Befehl, zivile Eingeschlossene, Frauen und Kinder, hermetisch abzuriegeln und auszuhungern, wörtlich so, dass keine Fliege mehr entkommen, also weder hinaus- noch hinein könne, Fluchtwege höhnisch ignorieren. Nebenbei mit der Absicht, die Konkubine einen Sieg feierlich verkünden zu lassen. Aber da gibt es keinen Sieg, sondern nur Leichenberge und ausgebombte, dem Erdboden gleichgemachte zivile Siedlungen, Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten. Sinnlose Ohnmacht über solchen Massenmord, solche Verbrechen an der Menschheit und Menschlichkeit, über so unfassbare Leidzufügung an Unschuldigen und Verstärkung des Leids an Bedürftigen, Notleidenden und Kranken, die ohnehin schon auf der Verliererstraße des Lebens ausgesetzt waren. Das exemplarisch Böse, das ungehindert über Hand nimmt und gigantische Ausmaße annimmt. Die gesellschaftlich ermöglichte, ja geförderte Verbrechernatur, und ihr gegenüber die pompös inszenierte Absage an die Bedrängten, das Hinauszögern derer letzter Hoffnungen, das Aufbauen unüberwindlicher Hürden, das Abgrenzen und Selbstbewahren, über das Ausgelöscht-Werden der Anderen, die Austilgung ganzer Völker hinaus. Solche Schande des Im-Stich-Lassens, des scheinheiligen Mitgefühls, der Ängste, dass einem selbst nicht solches Schicksal widerfährt, ist nie und nimmer tilgbar. Dieses Blut lässt sich niemals mehr abwischen, diese Tränen nie mehr trocknen. Eine ekelerregende Anbiederung, das Hinterlassen einer üblen Schleimspur der Profiteure, der deplatzierte Kotau, und wo man hinschaut, extreme Geschmacklosigkeit, sind der hiesige Beitrag zu den sich schon seit vielen Jahren abzeichnenden Vorbereitungen unermesslichen Schreckens, die von Menschen gegen Menschen ausgedacht wurden, und von allem Anfang an gegen diese gerichtet waren. Die Welt hat aufgehört, sinnvoll zu existieren. Eine solche Kultur, eine solche Politik, ergibt keinen Sinn.

Tafelbild des rechten Seitenflügels:

Mit Drohungen um sich werfen, um sie sogleich in die Tat umzusetzen. Tödliche Giftanschläge gegen Kritiker überall verüben, sie bis in die letzten Winkel aufspüren und eliminieren. Und sind es nicht die Gräuel des Angriffskrieges, so ist es die Gleichung aus Übel-Eigenschaft und Niedertracht, wenn fortgezeugte Lügen als Tatsachen verkauft werden, die Macht extremer Verlogenheit, und keine Zukunft hinter den Abziehbildern. Über dem Wahnsinn herrscht das druckfrische Geld, Öldruck und Gasdruck, die nässende Propaganda. Nicht daran denken, keine heimlichen Hoffnungen und Magengeschwüre. Alpha hockt über leeren Tellern, Beta hungert über einem Grätenmahl, Gamma nährt sich von Schlagzeilen, von Nächstenliebe. So kommen sie langsam, aber doch, auf die Städte zu, umzingeln sie, gebt auf, wir löschen euch ohnehin aus. Bald soll das Ziel erreicht sein. Die Geschichte zurückdrehen wollen, aber nicht einmal über den eigenen Schatten entkommen können. Vor sich wirres Zeug mit komischer Miene daher schwätzen. Friedliche Lösungen kategorisch ausschließen. Die Verkörperung des Grausamsten sein, selbst aber höchst empfindlich und wehleidig agieren. Was für ein Spitzenjahr für Revanchisten, was für ein Spitzenjahr für Diktatoren, die mit Verhandlungsrecht und Kriegserklärungspflicht werden die Vorschläge prüfen, werden die Massenmobilisierung auch mit niederknüppelnder Gewalt nicht verhindern können, sind psychisch verpfuscht oder in geheimer Mission unterwegs. Weil da etwas ist, was über die Bedrängten hinauszugehen- sie selbst zu übertreffen scheint. Ein Preis zum Ablehnen. Jeder Preis für einen solchen Frieden. Frieden um jeden Preis. Der Preis für den Frieden. Friedenspreis. So oft sie auch inständig um Feuerpausen, um sichere Fluchtwege für Alte, Kranke, Kinder und Mütter baten, sie wurden nach wie vor aus dem Hinterhalt beschossen, aus der Luft bombardiert, und ihre Fluchtrouten ins Feindesland umgeleitet. Während einerseits Panzer zivile Fahrzeuge und ihre Insassen vor den Augen der Weltöffentlichkeit gnadenlos überrollten, Kinder in zerbombten Häusern verdursteten, war es andererseits wichtig, Antwerpener Diamantenschäfte und Mailänder Modehäuser für die Oligarchengattinen und Gespielinnen offen zu halten, so sehr auch die Welt nach Ächtung solcher Zustände, um Stillstand der ungleichen Zahnräder schrie, wollten die funkelnden Patriarchen die Seelen mit dem stechenden Weihrauchgeruch weiterer Hassbotschaften einsalben, in immer schon unheiliger Allianz von Politik und Kirche. Sogar die Schweiz wollte einmal ein wenig ernst machen. Über den Alpen häufen sich luftdichte Worte und strahlende Wolken von umhausten Unglücksreaktoren ziehen ohne Schuldgefühl und neutral hin zum Alphorn des Älplers oooben oooben oooben.

Mittleres Tafelbild:

LEBEN zulassen, Leben schützen, das einem nahe ist, in dem man selbst ist, das einem anvertraut ist, aber auch das Andere, das Fremde oder Ferne leben lassen.
BLEIBEN, bei allem, was man liebt. Aber auch das andere Lebende unversehrt lassen.
DENKEN, an all das, was Nähe ist und Wärme.
KLEINE SCHRITTE SETZEN und dabei nicht zertreten.
TRAUERN, nicht nur um die Nächsten, sondern auch um Fremde, deren Schicksal uns nicht nur nahe geht, sondern welche uns durch ihr Schicksal nahe sind.
HELFEN, wirksam helfen, so lange man lebt.
WÄRMEN, als einziges Gut, aus dem möglicherweise ein Lächeln entspringt.

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Ana Bilić: Der Brief an den russischen unbekannten Soldaten

Lieber unbekannter russischer Soldat,

ich stelle mich nicht vor, weil ich für dich unbekannt bin, so wie du für mich unbekannt bist. Und das ist für uns das Gemeinsame, und deswegen schreibe ich dir. Wir haben keinen Namen, die uns gegenseitig bekannt sind, wir sind namenlos und wir sind die Masse. Aber wir sind die Masse, die Kraft und Macht hat und alles verändern kann.
Ich weiß, dass du kämpfst, weil du deine Aufgabe erfüllen willst, dass du ums Leben kommen könntest und auch wahrscheinlich wirst und dass dein Lohn ein Denkmal des unbekannten Soldaten sein wird. Wie viele es von den Denkmälern des unbekannten Soldaten gibt? Viele. Aber gibt es ein Denkmal des Soldaten, der einen Krieg gestoppt hat? Der die Waffe niedergelegt und gesagt hat: Nein, ich will nicht töten. Ich will nicht die anderen unbekannten Menschen töten, nur weil ein Mann das gesagt hat. Ich will nicht von einem Mann manipuliert werden. Ich habe ein Bewusstsein darüber, was ich mache, ich bestimme über mein Leben und stehe hinter allem was ich tue. Und ich will die anderen Menschen nicht töten und ich will nicht alles zerbomben, was ein anderer Mensch geschaffen hat. Ich bin ein Unbekannter, aber ich weiß was ich mache und darüber entscheide ich. Und ich entscheide mich für den Frieden. – Wenn du, der unbekannte Soldat, deine Waffe an der Front niederlegst, dann wird auch die andere Seite das Gleiche tun. Das hat auch die Geschichte gezeigt.
Ich, als Frau, kann über den Krieg nicht mitbestimmen. Denn die Frauen sind nicht eingeladen, über den Krieg zu entscheiden. Die Frauen wären nicht für den Krieg. Oder denkst du etwa, dass deine Mutter für den Krieg wäre? Oder deine Schwester? Oder deine Tochter? Wir sind davon ausgeschlossen, die Politiker haben sich selbst daraus ausgeschlossen, nur du kannst den Krieg stoppen. Töte nicht, entscheide dich für das Leben. Sei der erste Soldat, dem ein Denkmal des friedensstiftenden Soldaten gebaut und gewidmet wird. Das ist deine Aufgabe und der Weg, auf dem du in die Geschichte als Soldat eingehen kannst.

Eine Unbekannte
mit Liebe, Respekt und Erwartung

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Annemarie Moser

„Fürs Leben“  

Da lässt man sich von der permanenten Fortschrittspropaganda unserer Kultur unwillkürlich, unbemerkt, täuschen. Alles wird verbessert, verfeinert, die Gesetze werden bei uns pausenlos angepasst, genauer, die Netzwerke schneller, leistungsfähiger. Alles wird komplizierter, muss es auch werden, treffsicherer, die Mietbeihilfe, die Pendlerpauschale, tausende Beamte und Vertragsbedienstete drehen an tausenden Schräubchen für mehr Gerechtigkeit, Treffsicherheit, und in den Medien wird über jedes Schräubchen ausführlich diskutiert.
Die Treffsicherheit der Bomben, die auf die Ukraine fallen, ist irrelevant, weil jede Bombe todsicher zerstört, was sie trifft, und nur darum geht es. Das Ziel ist immer dort gewesen, wo die Bombe, die Rakete eingeschlagen hat. Alles Volltreffer.
Natürlich wird in den Kämpfen auch gezielt geschossen, und dass in dem Zielbereich gerade Menschen sind, das sind dann Kollateralschäden.
Die höhere Logik der Befehlserteiler, die ihre Aufmarsch- und Einkesselungspläne durch Befehle in wirklichen Horror umsetzen lassen, diese Logik ist großzügig, überspannt Millionenstädte und Landschaften, die unversehens an eine versunkene Steinzeit erinnert werden, indem ihnen beigebracht wird, was sie in den Zielvorstellungen der Befehlserteiler werden sollen: Trümmerhaufen, Ruinenlandschaften, in denen das Brudervolk irgendwie überlebt oder auch nicht. Wer flüchten will, soll flüchten, die Grenzen gen Westen stehen offen.
Aber die Mütter jetzt, o Gott, die jungen Ukrainerinnen mit ihren Kindern auf der Flucht, da habe ich mir einen Werbeclip zum Frauentag gemerkt, mit sieben oder acht oder zehn Gesichtern von Frauen in aller Welt, verschiedenen Ethnien, Hautfarben, Herkünften, eine wie die andere strahlend, mit einem unwiderstehlichen Lachen, makellos gesund und vital, genau passend als Werbung zum Frauentag, und mein Unbewußtes spielt mir in diesen Clip erschöpfte, verzweifelte Gesichter ein, weinende Frauen, verschwollene Gesichter, angstvolle, gehetzte, die jungen Mütter, wie sie jetzt sind, die Wahrheit.
Als ich kleines Kind war, war der Zweite Weltkrieg. Ich kenne alles, was jetzt den Menschen der Ukraine passiert. Alle Gefühle. Und ich wünsche den Befehlserteilern, die diesen Krieg zu verantworten haben werden, alle diese Gefühle an den Hals. In den Kehlkopf, in die Bronchien, in den Unterleib, um das Herz, ins Gehirn auch. Keine Hassbotschaft, damit bin ich einverstanden. Nur die Wahrheit, die so vielen Menschen jetzt eingebläut wird, ein- für allemal.
Fassungslos, wie das überhaupt sein kann, alles.
Es ist GENAU SO PRIMITIV UND BRUTAL, wie ich es als kleines Kind vor 77 Jahren „fürs Leben“ mitbekommen habe, hineinverflochten und verteilt in allen Fasern. Wie Krieg eben geht. Der Fortschritt ist abgesagt, die Vermehrung des Elends findet statt.

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Peter Bielesz

Wahr – und scheinlich 

 Es ist zwingend und unerlässlich bei der Behandlung einer Kriegsproblematik ohne ein berühmtes Zitat von Aristoteles auszukommen.„Es ist wahrscheinlich, dass das Unwahrscheinliche eintritt“.
Kein aktueller Satz könnte besser und prägnanter ausdrücken, was die derzeitige Situation (= Überfall) in der Ukraine betrifft. Viele Menschen haben in ihrem Leben schon Vorstellungen von dem Unwahrscheinlichen, dem Undenkbaren und dem Unvorstellbaren erfahren. (Das „Unwahrscheinlichste“ bleibt vorerst unerwähnt!)
Noch dazu kommt auch, dass Aristoteles der Begründer der formalen Logik ist, von dieser Warte aus gesehen nicht zwingend erwartbar. Warner gab es nur zögerlich, ob das Unwahr- scheinliche (= das Verbrechen) als amorph, surreal, absurd oder doch als real einzuschätzen sei.
Erreichen wir an diesem Punkt eine Grenze des Sagbaren, der Sprachlosigkeit, gibt es überhaupt eine Sprache für diese völkervernichtende Brutalität? (Gibt es ein Lexikon des Kriegsvokabulars?)
Unterstützt von einigen wenigen hasserfüllten Beratern und dem geschichtlichen Scheinstudium eines ehemaligen Großreiches, hat sich ein Beweger in Bewegung gesetzt, das Lächerliche der Macht bewusst in Kauf zu nehmen und zu exekutieren.
Das Lächerliche wird sich leider erst offen nachträglich zeigen, es wird auch zwingend wieder Kriegsgewinnler geben, unter dem Mantel der Solidarität für die Gemeinschaft.
Außerdem gibt es einen erstarrten Beweger in seinem Bunker, der auch im Stadion als Gladiator auftritt. (Und schon unsichtbar das Zarenzepter in der Hand hält!)
In Bezug auf den ersten Weltkrieg analysierte Freud: „In Wirklichkeit gibt es keine Ausrottung des Bösen“. („Zeitgemäßes über Krieg und Tod“)
Ein weiterer Befund aus der Psychoanalyse: „Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein“. So erleben wir Barbarei auf beiden Seiten, sie war menschheitsgeschichtlich immer da, in kurzen Epochen nur weniger ausgeprägt, vom ………….. Weltgeist unterdrückt.
Während des Schreibens ist das erwähnte „Unwahrscheinlichste“ eingetreten. Eine Geburtenklinik wurde bombardiert, die Frau auf der Tragbahre, -im TV weltweit zu sehen – ist wenige Tage später gemeinsam mit dem Ungeborenen verstorben. Das ist kein Krieg, das ist ein Abschlachten. 109 Kinderwägen stehen in Mariupol auf einem Platz, sie sollen durch einen schusssicheren Glassturz für die Ewigkeit geschützt werden. Mehr Leid ist nicht vorstellbar.
Dafür landet der Gladiator mit freiem Oberkörper vor ein Kriegsgericht, es wird passieren, soviel Gerechtigkeit muss am Planeten existieren, wenn nicht, ist er zusammen mit der Menschheit und den Menschen verloren, die die Anklage verfasst haben.
Handkes letzter Satz in „Über die Dörfer“ lautet: „Der ewige Friede ist möglich“. (Leider hat dieser wunderbare Satz einen nicht nachvollziehbaren Hintergrund, er besuchte einen inhaftierten Kriegsverbrecher am internationalen Gerichtshof für Menschenrechte – vielleicht eine unverzeihlich – verzeihliche Geste.)
Diktatoren die die Geschichte eines Landes, eines Großreichs, um tausend Jahre zurückdrehen wollen, sind von Haus aus zum Scheitern verurteilt, abgesehen von jenem Herrn, der die kommenden tausend Jahre wahnbrüllend verkündet hat, und Millionen in den Tod trieb.

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Tatjana Gregoritsch

Mein Name ist Tatjana Isabella Lucia Gregoritsch aus  Wien, ich lebe an der Grenze in Kärnten. Ich bin Schriftstellerin. Ich bin nicht Soldatin. Ich kämpfe hier mit Worten, appelliere, rufe auf zum Widerstand wie damals die Partisanen in Slowenien und Kärnten, Freiheitskämpfer im finnischen Winterkrieg, Solidarnosc in Polen, wie in Ungarn 1956, Prag, Sarajewo, Grosny, heute Kiew 2022. Die Waffen nieder, seit Bertha von Suttner (sie würde sich im Grab umdrehen) noch immer aktuell, nun im Innern Europas, auf ehemalig österreichischem Gebiet.
Tatjana wurde ich nach der ermordeten Romanovtochter getauft. Meine Mutter erlebte als junges Mädchen die russische Besatzung in Wien. Mein Vater war nach seiner Rückkehr 1955 aus dem Lager Workuta in Sibirien als Ostexportkaufmann in allen Ländern der UdSSR, sehr oft in Kiew. Mit täglichen Erinnerungen an Krieg, Lager, Besatzung, aber auch Bildern der schönen Stadt und Ostsprachen bin ich aufgewachsen. Habe ich nicht vielleicht Geschwister in Kiew? Ich fühle mich verbunden. Ich bin wütend auf einen, der klug genug ist, zu wissen, dass er sich, sein Volk und die Welt gerade in den Abgrund stürzt. Ein einzelner krimineller Mann hält die Welt in Geiselhaft, während er seine Mordspur zieht. Wut ist Brennstoff für Aktion. Ich spreche kein Russisch, kein Ukrainisch, aber ich will tun, was mir als Zivile möglich ist, mir nicht vorwerfen, nichts getan zu haben, wenn die Welt brennt.
Politiker, tun Sie, was Ihnen möglich ist, aktivieren Sie Ihre Kontakte, suchen Sie rasch Gespräche, Alternativen, überspringen Sie bürokratische Hürden. Sogar der Papst machte sich zu Fuß in die russische Botschaft auf, um zu intervenieren. Die Hoffnung auf rechtzeitige Hilfe bleibt.

#slavaukraini! #standwithukraine!

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Claudia Taller

Trauma auf Trauma auf Trauma

Ihr seid viele, ihr seid immer viele, ihr seid immer viele gewesen. Ihr seid nie alleine gewesen, mit einer Mutter, einem Vater. Euer erstes Trauma ist gnädig der Verdrängung anheimgefallen. Auf eurem großen Haus steht ‚Waisenhaus‘, ihr könnt es noch nicht lesen. Eure Betten sind hart und schmal, euer Essen nicht gut und nicht viel, eure Kleider sind zu eng oder zu weit. ‚Tanten‘ sagt ihr zu den Frauen, die euch kommandieren zu Pünktlichkeit, zu Reinlichkeit. Hätte man euch gefragt, ob ihr unglücklich seid, ihr hättet es nicht verstanden.
Und dann kam das große Heulen. „Sirenen“, sagten sie und rissen euch aus den Betten. Schuhe und Mantel und rennen. Wohin, mitten in der Nacht? In einen kalten Keller, zusammengeduckt, eine Hand zitternd in der anderen. Wenige weinten. Das Geheule verstummte, manche schauten auf, fragend. Doch das nächste Trauma war schon da – ein Krachen und noch ein Krachen und noch eines. Kleine Hände hielten kleine Ohren zu. Das nützte gar nichts. Wie kann es etwas so Lautes geben? Jetzt weinten mehr.
„Explosionen“, flüsterten die Tanten und umarmten die Kinder.
Das hatten sie bisher nie getan.
In der zweiten Nacht kanntet ihr den Weg zum Keller, für die dritte Nacht wart ihr vorbereitet, ihr schlieft in der Kleidung, manche mit Rucksack. Das heißt, eigentlich schlieft ihr nicht, ihr lagt wach, in Angst, in Erwartung von etwas Unvorstellbaren. Manche weinten leise, manche laut.
Die Tanten sprachen jetzt sanfter. Einmal kam ein Mann und zählte euch ab, er seufzte. Nach der vierten Nacht kamt ihr aus dem Keller und eure Betten standen im Freien. Ihr verstandet nicht, wie das möglich war.„Raketen“, sagten die Tanten, standen da mit offenem Mund.
Manche weinten. Das hattet ihr noch nie gesehen.
Vor eurem geöffneten Haus hielt ein Bus.
„Steigt ein“, sagte der Mann, der euch gezählt hatte.
Die Tanten gingen noch einmal in das offene Haus, man konnte nicht mehr lesen, dass es ein Waisenhaus war. Ihr konntet sehen, wie die Tanten sich bückten und Sachen in die Rucksäcke packten, in ihre großen, in eure kleinen.
Ihr fuhrt und fuhrt, draußen war es hell, draußen war es dunkel. Ihr sehntet euch nach euren harten Betten und der dünnen Suppe. Manchmal schlieft ihr ein. Und dann trommelten Kugeln auf euch ein.
„Auf den Boden“, schrien die Tanten. Und dann schrien die Kinder.
Und die Tanten flüsterten, „Sie schießen einfach auf uns.“
Und der Bus fuhr weiter. Und die Kinder schrien nicht mehr, sie weinten nur mehr. Sie zählten keine Traumen, sie konnten noch nicht zählen.

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Susanne Dobesch

KRIEG IN EUROPA 

Angesichts der Ukrainischen Tragödie ist es schwierig nicht in Klischees zu verfallen .Ich möchte auch nicht all die Informationen mit denen wir seit Wochen konfrontiert sind wiederholen. Weder die Propaganda, noch die seriösen Berichterstattungen. Ich möchte  ein persönliches Erlebnis in Erinnerung und zur Kenntnis bringen.

Vor vier bis fünf Jahre stieß ich auf den Stoff einer Mailänder Adeligen –Francesca Scannagatta-, die mich faszinierte, weil sie unbedingt, ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder Offizier an der kaiserlichen Mariatheresianischen Militärakademie werden wollte, was ihr auch gelang .Hiermit begab ich mich mit freundlicher Unterstützung eines befreundeten Brigadiers, also meines Protegés in die ehrwürdigen Hallen in Wiener Neustadt. Scanagatta ist dort so etwas wie eine Säulenheilige, weil sie immer Jahrgangsbeste war und das zur Zeit der Napoleonischen Kriege .Sie kämpfte und tötete wie eine Amazone und behielt doch immer Menschlichkeit und Weiblichkeit im Herzen. Später gründete sie eine Familie und war eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau. Doch vorerst ging es darum Napoleon, den rücksichtslosen Usurpator, im Grunde ein Diktator, der nur durch weitere Kriege seine Macht festigen konnte mit allen Mitteln zu bekämpfen .Damals war Europa zumeist in Feudalstaaten zersplittert, in kleine Fürstentume und ein aufstrebend geeinigtes United Kingdom. Die gemeinsamen Europäischen Werte wie Glauben, Untertänigkeit und Gottesgnadentum wankten. Es zerriss den Kontinent, doch das ehemals mächtige Österreich wehrte sich mit einer veralteten und kaputtgesparten Armee. Schlussendlich wir alle kennen die Geschichte siegte Metternich und stellte die Restauration anstelle der Revolution. Damit war vorerst der Frieden gesichert und die geopolitischen Wünsche der Herrschenden wieder erfüllt.

Ich habe Material zu all diesen Schlachten gesammelt, die Lebensgeschichte der erwähnten Dame in der Nationalbibliothek ausgehoben und durfte mit den „Goldfasanen speisen und plaudern“.

Es handelte sich durchwegs um gebildete und besonnene Männer, wie man auch aus den heutigen Kommentaren zur Kriegslage entnehmen kann. Dennoch verwehrten sie meinen schüchternen Einwand-ich bin Verfassungsuiristin-das mit der umfassenden Landesverteidigung beschränke sich auf Katastrophenschutz, Grenzschutz und dergleichen. Keiner durfte zugeben, dass sie alles wussten, aber nichts sagen durften .Bei mir, die ich mich nun zwei Jahre mit den Napoleonischen Kriegen beschäftigt hatte läuteten die inneren Alarmglocken .Ist unsere Verfassung Makulatur? Ist das Schweizer Vorbild unerreichbar? Man sah doch schon damals, dass aus den Zerfall Frankreichs ein machtlüstener Diktator entstand .Setzt man ohne direkte Feinde in der Nachbarschaft lieber auf einen gelungenen Sozialstaat, als auf ein aufgerüstetes Heer? Warum eigentlich nicht? Zumindest in Europa gab es seit den Balkankriegen, die nicht Grenzüberschreitend waren keine Bedrohung .Doch was nützt der Sozialstaat, wenn er in Kriegswirren zugrunde geht?

Somit vergaß auch ich die Analogie eines zerfallenen Frankreichs im 18 Jahrhundert mit der Analogie einer zerfallenen UdSSR Ende des 20 Jahrhundert und dass immer der Stärkste aus diesen Resten ein Bedrohungszenario zimmert. Hauptsache Europa schläft in seinen eingebildeten Werten .Es wird Berufener brauchen um den gordischen Knoten zu lösen. Auch ohne gläubig zu sein drängt sich mir der Satz auf „Gott schütze Europa“. Wer sonst ?

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Marzanna Danek

EINE LEKTION ZUR NEUEREN GESCHICHTE

ich dachte, glaubte,
dass ich eure Frage:
Was ist Krieg?
nur schwer
beantworten kann,
denn für Krieg
gibt es keine Worte, und jene,
die man sagen möchte,
bleiben plötzlich im Halse stecken

ich dachte, glaubte,
ich nehme euch ins Museum mit,
erkläre euch diesen Archaismus,
das längst ungebräuchliche
Wort „Krieg“
durch ein paar vergilbte Fotos,
einen rostigen Helm,
ein Gewehr und eine Pistole,
ein Funkgerät, mit Patina überzogene,
verstaubte Granaten, Projektile und
einen Panzer auf dem Sockel
der Geschichte

ich sag euch eins:
Krieg ist BÖSE!!!
Bomben, Hunger, Krankheiten
sowie Tod, Dreck und…
Blut und Gräber,
Gesichter voller
Wut und Verzweiflung

nein, die Granaten, Gewehre
und Helme stauben wir nicht ab!
Wozu?
Sie sollen nur liegen bleiben
in der Vitrine,
der alte Wächter döst vor sich hin,
soll er die Exponate
nur gut bewachen
der Greis

Museum, Archiv,
GESCHICHTE

Das BÖSE ist ein DRACHE, der
Feuer speit, um Zerstörung und
Schmerz zu verbreiten

Was ist Krieg?
Mit Schamesröte im Gesicht
deute ich auf den Himmel im Osten,

der auch rot leuchtet,
aber nicht vor Scham,
sondern vor Blut und Feuer, und nein,
das ist kein Regen,
es sind Millionen von Tränen.

statt Vögeln, die dem
grünen Frühling in ihre Heimat folgen,
… Flugzeugstaffeln,
lärmende Hubschrauber,
zerstörte Nester
in Baumruinen

Titelseiten
triefen vor Blut und Tränen,
nein, das ist keine Tinte,
beklemmende Schlagzeilen:
Was liegt noch vor uns?!!!

vor uns liegt doch
der Frühling!
vor uns liegen Blumenwiesen,
Krokusse, Klatschmohn,
Leberblümchen,
und die Sonne, die
immer höher am Himmel steht

dort, weit weg, unweit von hier,
im Osten gibt es auch Kinder
die Sonne möge ihnen scheinen,
der Himmel möge ihr schönes Lächeln
zum Strahlen bringen

und von den Gesichtern der Erwachsenen
verschwindet
die blutige Schamesröte,
und von den Titelseiten
das absurde Wort
KRIEG!

P.S.
was bleibt, ist der Flügel des Flugzeugs,
eingebrannt ins Himmelszelt,
für immer,
und eine Narbe
auf dem blassen Gesicht
dieses weinenden Kindes,
das bis an sein Lebensende
nachts schreiend aufwachen wird

(aus dem Polnischen von Silvia Gelbmann)

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Peter Paul Wiplinger

DAS UNDENKBARE

jetzt bin ich wieder dort
wo ich vor fast siebzig jahren
schon einmal war als ich zornig
zu meinem längst verstorbenen
heidegger-philosophenbruder sagte
es geht jetzt doch nicht darum
nach diesem zweiten weltkrieg
nach all der nazibarbarei nach auschwitz
dresden hiroshima nach hitler stalin
nach 55 millionen oder wieviel toten
den menschen und die welt zu erklären
es geht doch darum sie zu verändern
daß so etwas nie mehr passiert
weil nie mehr passieren kann
ich weiß man kann und soll
die schrecklichen absurditäten
das undenkbare niemals vergleichen
aber wieder einmal ist das undenkbare
nicht nur denkbar sondern realität geworden
wieder einmal spielt ein einzelner mensch
auf dem machtapparatklavier die todesmelodie
und tausende ziehen folgsam in den krieg
und millionen sind jetzt auf der flucht
die welt ist nicht mehr wie sie vorher war
das undenkbare ist totalzerstörung tod
und wieder fragt man sich wofür wozu
was soll der ganze irrsinn was soll denn
dieser wahnsinnskampf und worum geht es
wofür lohnt sich das brutale bombardement
die ausradierung ganzer städte dieser terror
gegen arme menschen gegen frauen kinder
die in u-bahnschächten ohne alles hausen
und warum schießt ihr auf andere menschen
befehlsgemäß auf alles bis es nichts mehr gibt
außer ausgelöschtes leben maschinellen tod
ihr seid ab jetzt für immer gefolgschaftsmörder
nur weil schon wieder so ein wahnsinniger
den krieg befiehlt und ihr ihm treu-gehorsam folgt
und die anderen schreien daß sie kämpfen werden
bis zum letzten blutstropfen ein altbekannter slogan
und auch euch hat niemand von den betroffenen
in wirklichkeit dieses nationale heldentum erlaubt
und nachher werden wieder einmal die kinder
irgendwann und irgendwo friedenstauben basteln
und philosophen werden weiterhin so wie gewohnt
den menschen und die welt erklären und sagen
daß so etwas undenkbar ist obgleich es jetzt geschieht
Wien, 22.03.2022

Heldendenkmal in Hamburg, (c) Wiplinger
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KURT F. SVATEK
VA, PENSIERO*)
Der Klang des Friedens,
den viele so lag in den Ohren zu haben glaubten,
wie schnell ist er vergessen,
durch das aufgeregte Heulen der Sirenen,
durch das Dröhnen von Flugzeugmotoren,
durch das Fallen der Bomben.
Gibt es eine Engelsharfe,
die ihn jenen immer und immer vorspielt,
die ihn so gar nicht hören wollen?
Gibt es die Engelszungen,
die so lang vom Frieden reden,
bis sie, wenn auch spät, erhört werden?
Gibt es die Tauben,
die vor den verblendeten Lidern flattern,
bis alle, die das so gar nicht wollen,
den Krieg aus den Augen verlieren müssen?
Gibt es den Wolkenbruch,
der auch Gedanken wäscht?
Gibt es das alles außerhalb des Traums?
Gibt es den leisen aber stetigen Klang des Friedens?
Vielleicht, nur sicher,
sicher ist das nicht.
Dennoch: Va, pensiero, sull’ali dorate,
flieg Gedanke auf goldenen Schwingen …
*) Chor aus Verdis Oper Nabucco
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Rüdiger Görner

Gedicht im Krieg

Hört des Banjos zarte Stimme, die sich einer Hymne leiht,
die Hass nicht kennt, nur Herz, nur aus Saiten ein Gewebe.
Und doch ist Krieg, tobt das, was niemand glauben wollte.
Weil schwarz ist, dieses Meer, sieht man Versenktes darin nicht.
Aus den Geschwadern werden Raben; Bataillone schießen in die Irre.
Und des Nachts? Feuerwechsel im Alarm. Später schwären Träume
wie Wunden. Schützt der Bunker? Tödlich jedes Wort.
Hört, das Banjo wieder; dem Banjo eine Gasse durch das Dröhnen
der Geschütze. Im Wirbel der Himmelsrichtungen kreiselt,
kreideweiß vor Angst, die Taube. Ist morgen noch ein Tag?
Kennt dann das Banjo noch sein Lied? Im Rotieren der Antennen
taumelt selbst die Lüge; und die Ohnmacht fällt die Krater.
Liegt es bereits in Trümmern, des stillen Jaroslaws Soloti worota?
Wird wieder golden, dieses hohe Tor? Jenseits von Tag und Nacht
zupft Jaroslaw behutsam, doch entschlossen seine Weise zu lautlosem
Gesang. Und doch ist Krieg, tobt das, was als Verrat begann,
Rohstoffen zuliebe, digital gesteuert, austariert. Wieder aber dreihundert
Spartiaten; die Thermopylen heißen jetzt Tschernobyl, Wortkernspalter
unter Beschuss: Leonidas grüßt Jaroslaw von Grab zu Grab.
Und doch – mitten im Krieg mischen sich Farben über Gräbern, über
Flüchtlingsströmen, Blau und Gelb zu unverwechselbarem Grün,
das – verzweifelter denn je – seinen Frühling sucht.

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Herbert Kuhner

Old Days

In 1939 Joe and Adi got together and tied the knot. Poland was the wedding cake. Joe went home and rubbed his hands. On September 1, 1939 Adi broke his vows, and in late 1941 Joe was on the ropes.
On September 7th of 1941, the Japanese attacked Pearl Harbor and saved the day for our good old Joe. By way of his next-door neighbor Alaska, oodles of weapons and supplies began pouring in, and we know the rest.

The Myth: Ron and John
Just as East Europe was freed from Nazism but not freed, Russia (or the Soviet Union, if you will) was freed from Communism but not freed.
There’s a myth circulating that President Reagan and Pope John Paul II brought down Communism in the Soviet Union. That’s a half truth. They helped prevent the liberalization of society in a Union that had been a dictatorship.
When Mikhail Gorbachev took the reins of the Communist Party in 1985, he set about introducing civil rights, a free press and all the trappings of a democracy.
Instead of supporting him in these undertakings, the two ant-Communist heroes undermined him. A totalitarian system cannot be changed entirely overnight, but Gorby certainly did his best.
Unfortunately, the economy didn’t pick up, so Gorby wasn’t as popular at home as he was abroad. He was trying to take it step by step with the goal of forming a Soviet Commonwealth.
The West egged him on, and his friend, Ronnie said: “Mr. Gorbachev, tear down this wall,” referring to the Berlin Wall!” The negotiator sent to make things happen fast was Condoleezza Rice.
What happened? Gorby cleared out of East Germany, let it go to NATO, and got a pittance for doing so.
Now Gorby had more or less been brought to the edge. The Russian generals said something to the effect of, “This is madness. We have just lost World War II, and we must put an end to having a political Santa Claus in the saddle.” A coup was staged in 1991.
Boris Yeltsin stepped onto the stage, put it down, pushed Gorby over the edge and took over. That signified the end of all the reforms.
Every republic wanted to go it alone, and some took a bloody path. Now blood is flowing again. Yeltsin was a drunk and a demagogue in that order. He let things slide, and in 1999, when they got too far out of hand, he turned the country over to Vladimir Putin, the former KGB man. The Union is broken up; the reforms went down the drain. Repression and terror reign supreme in Russia and most of the former republics. Russia is still equipped with a nuclear arsenal, and Alexander Putin is more erratic than his former comrades. Since Gorby’s departure hundreds of journalists have been sentinto the next world. Gorby was relegated to speaking tours and doing TV commercials for Pizza Hut and the Austrian National Railways, too humiliating to describe.
The world would have been a lot better off if Gorbachev had taken the slow but certain road – minus the ads. But what’s the sense of wishful thinking in hindsight? We’ve got the world that we have.
What happened?!
Old Days became New Days.
And what have we got?!
The Hungry Bear’s appetite became insatiable again and he stated gobbling up anew. Ukraine is his first meal.
Thank you Ron and John!

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Prof. Mag. Dr. Robert Streibel
Vorstandsmitglied des PEN-Clubs Austria

Liebe Anna,
 
wir hatten eine schöne Zeit, aber ich fürchte wir werden uns jetzt längere Zeit nicht mehr sehen. Man könnte sagen, so ist das Leben, so ist es in Zeiten des Krieges, wenn zwei Menschen plötzlich auf unterschiedlichen Seiten aufwachen. Aufgewacht bin ich am 24. Februar.

Abschiedsbriefe sind wie Beileidsbekundungen oft mit Floskeln gespickt, wer weiß schon was er in so einer Situation sagen soll. Eines ist klar: Das ist eine Trennung, nichts anderes. Bei jeder Trennung ist die Schuldfrage auch eine Frage der Perspektive.
Wir haben uns nicht gut gekannt, begegnet sind wir uns ja wirklich nur zwei Mal, mit Abstand natürlich, einmal als Du damals mit dem Rad in Salzburg zu einer Signierstunde gekommen bist und dann in der Staatsoper, als ich mir ein Herz auf die Rückseite meiner rosa Krawatte malen ließ. „Are you sure?“ hast Du damals gesagt. Ich war sicher, denn es war aufregend Dir zuzuhören.
Bei jeder Trennung stellt sich die Frage, war alles falsch? Wer kann das schon sagen, aber jetzt berührt zu sein, wenn jemand im Schnee friert und sich zu Tode hustet, wenn andernorts wirklich gestorben wir, nicht durch Krankheit, sondern durch einen Krieg, das würde ich nicht ertragen.
Selten führt ein ganzes Volk einen Krieg, manches Mal passiert es, dass ein Volk aufwacht und sich wehrt so ist das heute in der Ukraine.
Niemand verlangt eine Verdammung Deiner Heimat, Deiner Kultur, Deiner Geschichte, aber wer sich gegen so eine Anmaßung wehrt, der sollte nicht vergessen, dass Kriege nicht ausbrechen, sondern begonnen werden und es ist gleichgültig ob die Entscheidung auf einem langen oder kurzen Tisch gefällt wird und es ist gleichgültig welche Fahne dahinter weht. Dieser Krieg ist nicht ausgebrochen, sondern wurde angeordnet und die Begründung ist so abstrus wie manches Libretto einer Oper. Die Folgen sind leider im Leben anders als auf der Bühne, wo nach jedem Tod eine Verbeugung folgt.
Mit historischen Vergleichen ist es wie mit Beileidskundgebungen, sie klingen immer irgendwie falsch. Einen Fehler einzugestehen ist nie leicht, aber die Heimat ist sehr oft bei jenen, die nicht geachtet, die vertrieben sind, Dein Land hat dafür viele Beispiele geliefert. Ich will die Erinnerung nicht auslöschen, denn das haben andere gemacht. Memorial ist Geschichte und der millionenfache Tod soll nicht mehr gedacht werden, so wird es in Deinem Land verlangt, so wird es angeordnet. So bleibt mir nur Adieu zu sagen. Wer weiß ob wir uns je wiedersehen. Vielleicht, wer weiß, auch wenn ein Happy End so unwahrscheinlich ist wie wenn die Böswichte in die Hölle fahren.

Prof. Mag. Dr. Robert Streibel
Vorstandsmitglied des PEN-Clubs Austria
www.streibel.at

Aufruf zu Beiträgen für eine Texte-Sammlung
Stimmen gegen den Krieg der IG Autoren vom 2.3.2022
Den Brief gibt es auch auf Spotify zum Nachhören: