Von Handwerkern und Künstlern
Rede anlässlich der Verleihung des Theodor Kramer Preises 2025 an Hellmut Butterweck
Am Anfang war das Wort. Nein sie brauchen jetzt keine Angst haben das hier eine unzulässige, dem Anlass vielleicht aber entsprechende Fortsetzung dieses Zitats folgt, so wie es eben im Johannes Evangelium heißt.
Aber nein, ich muss mir widersprechen es stimmt trotzdem, Wörter haben für Hellmut Butterweck eine besondere Bedeutung. Denn an das Erlernen wesentlicher Wörter kann er sich heute noch erinnern und er kann selbst die Umgebung genau beschreiben, als er sie zum ersten Mal gehört hat.
Drei Wörter will ich ihnen vorstellen, damit wir Hellmut besser kennenlernen, denn diese drei Wörter geben irgendwie auch die Richtung in seinem Leben vor.
Beginnen wir bei der Szene als eine Frau dem Großvater in der Sommerfrische am Brunnen stehend in das offene Fenster eine entscheidende Neuigkeit vom Hof aus zugerufen hat. „Den Dollfuß habens ermordet“. Und was war die Frage des Fünfjährigen? Was heißt ermordet? Die Großmutter war ganz aufgelöst und Hellmut hat nur immer wieder gefragt, was heißt ermordet, was heißt ermordet?
Sie hat ihm nichts erklären wollen und nur „Gib eine Ruh“ zu ihm gesagt. Das Wort hat sich Hellmut bis heute gemerkt.
Das zweite Wort hat ebenfalls mit Tod und Verderben zu tun. Ein Jahr später im Februar 1934 hat eine Hauspartei in Wien gemeint. Die Roten werden das Wasser vergiften. Auch das hat er sich gemerkt.
Das dritte Wort stammt aus der Zeit, als er schon lesen konnte. Beim „Hitler Jungen Quex“, den er gelesen hat, erinnere er sich an die Wörter „profan“ und „banal“. Sie gehören zum Vokabular des kommunistischen Burschen im Roman.
Hellmut Jahrzehnte später: „Das ist komischerweise auch die einzige Figur, die mir aus diesem Roman im Gedächtnis geblieben ist.“
Als Bonustrack in dieser Hitliste möchte ich jetzt aber nicht auf das A in Hellmuts kursorischen Alphabet vergessen, wenngleich dieses Wort in seinem Leben keine Rolle spielen sollte.
In der Szene spielen die Großmutter und die Tante eine entscheidende Rolle. Sie nehmen einen eingeschriebenen Brief für den Großvater vom Postboten entgegen und überlegen, was das Schreiben denn beinhalten möge. Hellmut verfolgt das Gespräch. Ein Wort, das er nicht kennt, merkt er sich. Alimente? Mit einem großen Fragezeichen von den beiden Frauen gesprochen.
Wie bei „ermordet“ und „vergiftet“ wird seine Frage nach dem Sinn des Wortes nicht beantwortet, doch das garantiert, dass er dies bis heute nicht vergessen hat.
Am Anfang war das Wort. Und die richtigen Wörter und ihr Gebrauch sind entscheidend im Leben, besonders für jemanden, der mit den Wörtern und von ihnen leben wird
Zuweilen hat der junge Hellmut Gelerntes auch am Familientisch ausprobiert, was er am Vormittag bei seinem Vater gehört hat. „Der Hitler ist ein Verbrecher“. Das hat er beim Mittagessen irgendwann 1938 gesagt und sein Onkel ist aufgesprungen und ist ihm rund um den Tisch nachgerannt. Wie er ihn erwischt hat, hat er nicht gewusst, was er mit ihm machen soll. Er hat nur gesagt „Du dummer Bub, Du verstehst doch nichts.“
Sich das zu merken, das man sich nicht merken soll und sich nicht an Verbote zu halten, zeugt von einer gewissen Hartnäckigkeit und ist der Beginn einer widerständigen Haltung, die Hellmut Butterweck bis heute eigen ist.
Verbote als Anreiz
Sich nicht an Verbote zu halten, sondern Grenzen zu überschreiten hat ihm auch zu einer Begegnung mit einer Frau verholfen, einer ehemaligen Freundin seiner Mutter, von der diese immer abschätzig sprach und ihm eingeschärft hat, dass er sich nie mit ihr einlassen solle.
Wie es zur Begegnung mit dieser Frau, Katharina Kralik kam, ist bezeichnend für Hellmut Butterweck.
„Ich war alleine in Wien, die Mutter mit meinen Geschwistern am Land und der Vater bei der Wehrmacht, da bin ich dann zu ihr gegangen. Ich habe angeläutet und als sie geöffnet hat, habe ich mich vorgestellt. Mein Name ist Hellmut Butterweck, meine Mutter hat mir verboten sie zu besuchen, deswegen wollte sie einfach kennenlernen. Sie hat mich reingelassen und lange mit mir gesprochen. Ich habe sie gefragt, was es mit dem Nationalsozialismus auf sich hat, denn ich war mir ja nicht ganz sicher.
Sie hat nur zu mir gesagt, Verbrecher sind’s, Mörder, nix anderes. Ich habe ihr geantwortet: „Danke das habe ich mir schon gedacht.“
Sie hat mir bei meinen regelmäßigen Besuchen ein Weltbild vermittelt, das für mich bis heute noch Gültigkeit hat, sie hat mir über die Zeit vor 1938 erzählt über die Christlichsozialen, die Fehler der Sozialdemokratie und dann aber gemeint, aber das ist alles nix gegen die Nazis, die sind Massenmörder. Das hat bei mir bis heute gehalten.“
Beim Erlernen der Wörter und wie man sie gebraucht und setzt erwies sich die Schule ebenso wenig für Helmut geeignet, wie es auch nicht gelang seinem Wissensdrang nachzukommen.
„Solange wir noch die alten Lehrer hatten ging es, dann kamen jedoch die Lehrer in Stiefeln und Reithosen, in SS-Uniform, mit denen konnte ich gar nicht. In der dritten Klasse hatte ich wiederholt und in der vierten bin ich dann mit einigen Fünfern ausgeschieden.“
Lesen als bessere Schule
Seine Schulzeit war zu Ende und ab diesem Zeitpunkt war seine Schule die Literatur und er las sich durch die Weltliteratur.
Sein erster Job war in der Wiener Zentralbibliothek, dort wo sich heute das Tuchlaubenkino befindet. Als Buchabstauber wusste er natürlich, wo die nicht genehme Literatur stand, und so bestieg er die Leiter für die obersten Regale und las alles, was ihm unter die Finger kam.
Mit dem Novemberpogrom 1938 war für ihn klar gewesen, dass er den Nationalsozialismus verabscheute. Sein Weg führte ihn gezwungenermaßen in die Rüstungsindustrie. Als ihm Sabotage vorgeworfen wurde, besiegelt mit einer Anklage, klinkte er sich aus dem System aus.
Er lebt zwar nicht im Untergrund, aber mit der Gefahr kontrolliert zu werden. Auf der Straße hat er bei alten Damen nicht um Geld, aber um Brotmarken gebettelt, die hat er dann bei einem Kellner eingetauscht und sich so andere Lebensmittel kaufen zu können. In diesen Monaten war er viel in Wien unterwegs, getrieben auch von dem Wunsch und dem Zwang mit eigenen Augen die Zerstörungen durch die Bombenangriffe sehen zu wollen.
Befreiung ohne Neustart
Die Befreiung vom Nationalsozialismus brachte für ihn ein Ende der Angst, aber keineswegs einen Neustart. Harte Jahre folgten.
Zwischen 1945 und 1949 hat ich auf der Straße gelebt. Vier Jahre der Ungewissheit. Manchmal schläft er bei seinen Eltern, „dann habe ich mich wieder gestritten und bin wieder weg. Es gab ganz abenteuerliche Notschlafstellen, am Westbahnhof oder im Keller beim Flakturm in Mariahilf.“
In einem Park sitzend treibt ihm der Wind ein Zeitungsblatt vor die Füße. „Ich hebe es auf und lese: Wiener Journalistenschule. Unter den Anforderungen steht. Politisch unbescholten, Matura und oder einwandfreie Deutschkenntnisse. Da bin ich hingegangen. Nazi bin ich keiner, Matura habe ich nicht, aber Deutsch kann ich,“ so Hellmut Butterweck in einem Gespräch.
Am Anfang war das Wort. Als Journalist, als Theater- und Buchrezensent. Als Theater- Hörspiel und Romanautor wird er vom Handwerker der Wörter zum Künstler.
Als Sachbuchautor liegt ihm auch die ökonomische Zukunft am Herzen, doch immer wieder holt ihn die Zeitgeschichte ein, zum Beispiel wenn er in der Straßenbahn fährt und sieht, wie eine Frau seinen Artikel über den Nürnberger Prozess liest. Er spricht sie an und die Wienerin meint kurz und bündig über die vertriebenen und ermordeten Jüdinnen und Juden. „Mir gegans nicht ab.“
Kein Wunder also, wenn Butterweck das Hörspiel „Das Wunder von Wien“ schrieb, in dem die Juden alle wieder lebendig werden und in die Stadt zurückkehren.
Weiße Flecken für die Historikerzunft
Helmut Butterweck ist mit 97 Jahren ein Phänomen. Als aufmerksamer Zeitungleser angeregt beginnt er zuweilen zu recherchieren und entdeckt weiße Flecken, die die Historikerzunft bisher nicht beachtet hatte.
Immerhin kann er sich dieses Erfolges zwei Mal sicher sein.
Die gehäuften Berichte über Volksgerichtsprozesse haben ihn angeregt diese Prozesse zu dokumentieren. Nach Jahren lagen zwei Publikationen vor, sie legten die Basis für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, dies mündete strukturell in der Forschungsstelle Nachkriegsjustiz des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
Ähnliches gelang ihm mit dem politischen Essay über den Antisemitismus der Stunde Null, als dem Jahr 1945. Das Buch „Der Ungeist der Stunde Null. Wie Österreich säte, was es heute hat“ erschien erst vor wenigen Wochen im Verlag Bibliothek der Provinz. Das Fazit von Butterwecks könnte präziser und schmerzlicher nicht sein: „Österreichs antifaschistischer Antisemitismus der Stunde Null wollte den Juden nichts tun, er wollte bloß nichts von ihnen wissen und ihnen möglichst wenig, am liebsten nichts, zurückgeben. Er begnügte sich damit, die wenigen, die noch lebten, totzuschweigen.“
Das Dreiparteien Schweigen hatte die Grundlage für das Nachkriegsösterreich geliefert und „ÖVP und SPÖ adoptierten bereitwilligst die Tabuierung des Holocaust, prolongierten sie weit über den 9. August 1945 hinaus, an dem Stalins Sprachregelung obsolet wurde und drückten sich konsequent um jede Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus herum.“
Er wer den Professor Butterweck kennt, weiß dass er noch jede Menge Pläne hat, zumindest ein neues Buch ist mit dem Verlag Bibliothek der Provinz schon besprochen.
Lieber Hellmut ich wünsche Dir und uns dass uns, dass deine Wörter uns weiterhin warnen, aufrütteln und zum Denken anregen mögen, wenn es um die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft geht, denn eine Dankesrede wirst Du heute ja noch halten.