Die letzten Reste politischer Glaubwürdigkeit gehen verloren
Die Weichen sind gestellt. Die ÖVP hat sich nach den vergeblichen Bemühungen um eine Dreierkoalition ohne FPÖ der FPÖ als Koalitionspartnerin angeboten, die FPÖ hat dieses Angebot gerne angenommen.
Wir warnen ausdrücklich vor dieser Koalition von „Partnern”, die den Wählerinnen und Wählern zu verstehen gegeben haben, dass sie nur Verachtung füreinander übrig haben. Wir warnen ausdrücklich vor dem Verlust auch noch des letzten Vertrauens, das Wählerinnen und Wähler haben können, dass diejenigen, die gemeinsam eine Regierung bilden wollen, Respekt füreinander und für ihre Aufgabe aufbringen und zu einem loyalen Umgang mit ihren Aufgaben imstande sind. Insbesondere, was das Verhältnis von Regierungsparteien zu den Grundwerten der Demokratie und zu den Grundrechten betrifft. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn nur der Wille zu regieren und mitzuregieren die Verachtung füreinander überstehen hilft und wenn man, wie bei der FPÖ, den Erfolg darauf aufbaut, jeden demokratischen Grundkonsens zu brechen.
Es hätte nach dem Wahlergebnis zahlreiche Entschuldigungen geben müssen, es hat aber nur derjenige, der die anderen am meisten beschimpft hat, angeboten, die „Hand auszustrecken”, also ihnen quasi zu verzeihen, dass er sie beschimpft hat. Es ist leider auch nicht dazu gekommen, dass diese Entschuldigungen öffentlich eingefordert wurden. Kann es sein, dass diejenigen in der Politik, die jetzt verhandeln wollen, ihre Aufgabe nicht ernst genug nehmen oder zu etwas anderem missbrauchen?
Es ist schon unerträglich genug, wenn Wahlversprechen sehr oft nicht mehr als leere Versprechen bleiben, es ist aber nicht mehr hinzunehmen, dass sich nun Politiker:innen als „Partner“ präsentieren, die den Vertretern der Gegenseite bis vor kurzem noch jede Glaubwürdigkeit abgesprochen haben. Entweder, das alles war gelogen oder aber es wurde den Wählerinnen und Wählern nur etwas vorgemacht. In beiden Fällen lässt sich daraus kein Auftrag des Wählers bzw. der Wählerin zur Bildung einer gemeinsamen Regierung ableiten, und wenn die FPÖ nun angekündigt hat, Vertrauen in die ÖVP „investieren“ zu wollen, so drängt sich die Frage auf, welche Vorstellung von politischer Kultur und vom Handwerk des Regierens hinter einem solchem Sprachgebrauch steht. Die Politik als Wertanlage, als schnelles Geschäft, als Spekulation mit der Zukunft des Landes?
Wer soll den Verhandler:innen auf der Seite der FPÖ den Willen zur Zusammenarbeit glauben, die den Verhandler:innen auf der Seite der ÖVP „Verbrechen“ vorwirft und „Staatsgefährdung“? Wer soll den Verhandler:innen auf der Seite der ÖVP den Willen zur Zusammenarbeit abnehmen, die in der FPÖ „Verschwörungstheorien“ und „Rechtsextremismus“ verorten? Wer soll glauben, dass die Verhandler:innen dieser beiden Parteien Gemeinsamkeiten haben, wenn ihnen jede Überzeugung von der Richtigkeit der Haltungen ihres Gegenübers abgeht? Und was sollen Wählerinnen und Wählern der Politik insgesamt noch glauben, wenn es diese zur Schau getragenen, von beiden Seiten ständig beschworenen Gegensätze, die das Wahlergebnis maßgeblich beeinflusst haben, schließlich gar nicht gibt? Wem sollen sie in einer solchen Regierung glauben und wie können sie glauben, dass von den Vereinbarungen einer solchen Regierung irgendetwas stimmt und hält, wenn Prinzipien, die gestern noch als unumstößlich galten, heute eilfertig über Bord geworfen werden, wenn das, was gestern noch eine erbitterte Gegnerschaft war, heute plötzlich zur „interessanten gemeinsamen Vergangenheit“ erklärt wird, wie Herbert Kickl dies in seiner Pressekonferenz am 7. Jänner 2025 mit Blick auf sein Gegenüber in der ÖVP, Christian Stocker, getan hat?
Eine solche Situation spielt nur denjenigen in die Hände, die an einer über die bereits bestehende Zerrüttung demokratischer Politik und Verhältnisse hinausgehenden dauerhaften Ausschaltung demokratischer Prozesse und Institutionen interessiert sind.
Das Mindeste, das für die Verhandler:innen in dieser Ausgangslage geboten wäre: Es dürfte niemand von denen, die für die Zerrüttung der Verhältnisse im Umgang miteinander Verantwortung tragen, in Verhandlungen eintreten und einer etwaigen Regierung angehören, die unter der erklärten Devise „Österreich ehrlich regieren” ihre Arbeit aufnimmt, es dürften diesen Verhandlungsrunden wie auch einer späteren Regierung nur Personen angehören, die von all diesen gegenseitigen Anschuldigungen und Beleidigungen unbelastet sind. Es bleibt auch dann noch Unvereinbares genug.
Es bleibt vor allem die Unvereinbarkeit von demokratischen Grundsätzen mit rechtsextremen Handlungen, Haltungen und Zielsetzungen, die nicht plötzlich deshalb aufhört zu bestehen, weil sich die eine Verhandlerseite, die ÖVP, dazu entschlossen hat, mit der anderen Verhandlerseite, der für rechtsextreme Inhalte stets offenen FPÖ, Verhandlungen aufzunehmen, um ihr Juniorpartner in der Regierung zu werden.
Gerhard Ruiss, Christian Teissl, Marion Wisinger, jopa jotakin
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(Wien, 9.1.2025)